04.05.2025 Umm Qais | ᐸ ᐳ ᐱ |
Ich komme in ein unscheinbares Bürogebäude. In der dritten Etage empfängt mich Ghada, mit der ich schon von zu Hause aus viel gemailt hab und erkennt mich sofort. Mein Pass wird ausgestellt, ich bekomme noch nützliche Tipps und drei Trinkbeutel... und meinen ersten Stempel. Jetzt bin ich also offiziell auf dem Trail. Nur zum Startpunkt muss ich noch gelangen. Und zuvor will ich zumindest anbindungstechnisch ein echter Jordanier werden. Und so bin ich auf Anraten von Chada zum nächsten Mobilshop am 3rd Circle vorbei an vielen Botschaften dieser Welt gelaufen. Deswegen ist es hier so sauber und prunkvoll. Ich habe jetzt eine jordanische Telefonnummer: Prepaid, 20GB und jordanische Flatrate. Gültig für drei Jahre - die Zeitspanne, die mich der Trail voraussichtlich in drei 14-Tagesetappen beschäftigen wird. Die Karte brauche ich dringend, wenn ich die Trail Angels meiner Excelliste kontaktieren will, ohne dabei arm zu werden: 2,99 Euro pro Minute kostet der Spaß mit deutscher Karte. Der Mobilfachmann verkauft auch Cola, Adapter, Blumen und jede Hilfe, egal welche. Ich soll ihn einfach anrufen vom Weg, den Rest erledigt er, meint er. Egal. Kontakte sind hier direkter und händischer, merke ich. Jeder ist bemüht Jordanien als freundliches Land zu präsentieren, auch seine anderen Kunden im Laden. Aber es stimmt schon: Alle tragen lange Kleidung, im mindesten lange Hose, viele Männer auch diese Hemden in weiß oder schwarz, die bis auf die Erde reichen und dazu Zehensandalen. Es sieht aus wie ein Eierbecherüberzug, ich kann mir nicht helfen, gerade bei den Jugendlichen. Aber gut, "lass dich drauf ein", sag ich mir. Verkehr ist rücksichtslos und rücksichtsvoll zugleich. Zebrastreifen sind eher Straßenzierde und weniger zum Anhalten. Frauen hingegen können scheinbar immer und überall rübergehen, alle halten an. Ich fühle mich diskriminiert. Oder ist das ausgleichende Gerechtigkeit?
Auf dem Rückweg passiere ich bewusster die Botschaften. Spanien, Großbritannien, Kuwait - mit Abstand die Fetteste -, Algerien, Südkorea, Frankreich, Jemen und auch schließlich Deutschland. Vor vielen streht ein kleines Blechhäuschen, darin ein Guard und ein Wasserspender. Manche in Galauniform mit bajonettbestückten Waffen. Deutschland hat hingegen eine ganze Straße mit fetten Barrikaden abgesichert, man kommt nicht heran.
Zurück im Hotel inspiziere ich den Weg nach Umm Qais. Ich soll direkt fahren meint der Hotelier. Die Busse fahren zwar, aber allenfalls ein oder zweimal am Tag. Guter Gedanke, so kann ich mir die antiken Stätten dort oben schon heute anschauen. 12 Uhr kommt ein Privatmann, der mich fahren wird. Zeit genug, um den hiesigen Wassertümpel im Garten zu beplanschen. Ein Aufpasser rennt im Stechschritt um den Pool, während ich drin bin und Blauwal spiele. Er macht ein Workout zu arabischer Rapmusik und zählt seine Schritte auf der Smartwatch. Ich fühle mich umrundet. Es nervt. Da nützen auch nicht die drapierten Rosenblätter aif den Sonnenliegen. Niemand will hier auf diese Weise braten.
Ein Tesla hohlt mich um 12 Uhr ab. Cool, fahre ich das erste Mal. Sowieso sind viele Autos in diesem Teil der Hauptstadt nagelneu. Leuchtende VW-Zeichen an Front und Heck... die gibt's noch nicht lange. Vor vielen der Häuser schrubben Bedienstete Einfahrten und die Autos von anderen als Straßenservice. Wir fahren auf einer Hauptstraße in Richtung Norden und schlängeln uns hupend und Handzeichen gebend irgendwie über die vier Spuren. Am Straßenrand bieten viele Händler nahezu alles an. Der Standstreifen wird regelrecht zur Drive-In-Shoppingmeile für Pflanzen aller Art, Bananen, Kaffeetrinken, Cola kaufen, reihenweise Tonkrüge, Kinderräder, Schwimmringe, Ibuprophen, Baumaterial und saisonale Früchte und Gemüse. Auch wir halten an. Mein Fahrer braucht 'nen jordanischen Kaffee. Der ist sehr zimtlastig. Was ich will, fragt er... natürlich Granatapfelmalzbrause jordanischer Herkunft. Alles andere wäre Gaumenschmausverleumdung.
Sein Tesla gibt lausenlos Warnsignale von sich. Mindestens sechs Sensoren verschiedenster Art sowie die Boardkameras sind ausgefallen, der Spurassistent kämpft mit den fast unsichtbaren Mittelsteifen und das Fahrwerk mit Schlaglöchern auf der Ringstraße rund um die 1,5 Millionenmetropole Irbid. Wir verfahren uns und landen irgendwo. Egal. Jeder wird angesprochen. Salaaaaam... ein mies tattoovierter Arm mit allerlei Zeichen streckt sich mir entgegen. Handschlag. Wo geht's lang? Na da, da und da, logisch. "Where are you from?" "Germany!" "Welcome to Jordan my Friend". Zum Dank zwei Zigaretten vom Fahrer und weiter geht's. 14 Uhr trudeln wir ein. Ich bin auf ganzer Linie Analphabet geworden. Nicht mal die Zahlen kann ich lesen. Alle Schilder sind nunmehr arabisch. Mein Navi zeigt mir einen Punkt und mein Fahrer fährt mich hin. Abschied. Und da stehe ich nun vor der Moschee von Umm Qais. Kinder gucken mich grinsend an. "Where are you from, bro?" "Germany." "Greeeaaat, welcome!" Der lange blonde Zopf macht mich etwas auffällig. Ich sehe meine Unterkunft nicht, nur bunte Buden und schmale Eingänge. Also rufe ich den ersten Trail Angel Ibrahim an. 5 Minutem später verschwinde ich mit ihm in einem Gebäudekomplex und habe ein Zimmer mit sehr vielen Teppichen, bekomme Kekse und Pfefferminztee. Wir setzen uns in ein Gemeinschaftszimmer und lernen uns kennen. Ibrahim hat Archäologie studiert und arbeitet oben an der Ausgrabungsstätte für die der Ort bekannt ist als Ausflugsziel. Zwei Semester sogar in Cottbus und Dresden. Da will ich gleich sowieso hin und er vermittelt mir gleich einen Privatguide.
Dieser führt mich eineinhalb Stunden durch meine erste Lektion antikier und biblischer Geschichte zugleich. Die Ruine war die antike Stadt Gadara, wurde mehrmals erobert, zerstört und umgestaltet und ist nun ein Potpourri verschiedener Völker. Das Areal ist recht groß. Bis auf ein paar jordanische Familien ist niemand hier. Touristenbusse sind selten Geworden seit den Gaza-Unruhen. Vielleicht eine in der Woche, sagt mein Guide. Wir schlendern durch Reste alter oktogonaler Kirchenbauten, einem gut erhaltenen Amphitheater bis hin zu einem Nymphenbrunnen und einer 1,5km langen römischen Straße. Das fühlt sich barfuß nicht nur warm an, es macht auch was. Man sieht die Spurrillen der vielen Wagen, die hier vor 2000 Jahren gefahren sind, die Kanalisationsschächte, einen Bürgersteig, der einst unter Arkaden entlang führte und sogar den Vorgänger des Zebrastreifens: Normalerweise ist das Straßenpflaster diagonal angeordnet. An manchen Stellen jedoch parallel. Dort ist der Fußgängerübergang. Ein Indiz dafür, dass Straßenverkehr kein Phänomen der Neuzeit ist. Die Tour endet an einem Aussichtspunkt, von dem aus sich die Sicht auf den See Genezareth auftut, sowie auf das 10 Kilometer entfernte Dreiländereck mit Israel und Syrien. Dort hinten in Sichtweise hat also ein gewisser Jesus für 5000 Anhänger wundersam Brot vermehrt. Man könnte meinen, hier müsste es doch ständig knallen. Stattdessen erklärt mir mein Führer, dass das blaue Ding da unten die Kringelrutsche eines Spaßbades auf israelischer Seite ist, das von allen drei Ländern aus rege besucht wird. Mit den Höhenmetern zwischen unten und oben komme ich noch nicht klar. Ich stehe vermeintlich auf einem Berg und schaue in ein tiefes, weites Tal, den Jordangraben, der als Riss in der Erdkruste tausende von Kilometern weit zwei Erdplatten voneinander trennt. Viele der antiken Bauten hier bestehen daher aus Basalt, vor allem das Theater. Für mehr als 500 Kilometer wird das Jordantal für diesen Weg bis Akkaba am roten Meer eine Art zu Hause werden, solange ich hier bin. Ich stehe aber nichtmal auf einem Hügel, sondern auf einem 400 Meter hohen Plateau und schaue auf den 612 Meter tiefer gelegenen See.
Mein Guide lässt mich zurück und ich schlendere selbst durch das archäologische Feld. Nichts ist wirklich versperrt und so gelange ich auch in eine antike Gruft. Chinesen und Deutsche haben hier während der letzten 40 Jahre wild und teils illegal herumgegraben zu einer Zeit, wo das Areal ungesichert war und sogar Menschen in den Ruinen hausten. Es wurden sogar Schätze gefunden in Form von Silbermünzen, die die Einheimischen ebenfalls entdeckten und entnahmen. Erst 1987 wurde das Areal zur erhaltenswerten Stätte erhoben.
Um halb Acht bin ich wieder in meiner Unterkunft. Der Muezzin ruft... fünf Minuten lang. Es schallt aus den vielen Häusergassen mehrfach zurück. Ansonsten ist es still. Ich habe mir das nervig vorgestellt im Vergleich zum Geläut unserer Kirchen. Das Gegenteil ist eher der Fall. Es ist vor allem wirklich gut gesungen. In Deutschland ist es eine riesen Debatte, ob Moscheen sein dürfen und ob sie stumm bleiben müssen. Die Diskussion erscheint mir gerade extrem lächerlich.
Es wird Zeit die erste Etappe des Wegs für morgen zu planen. Das Schild zum Startpunkt habe ich schon gefunden!