Etappen

11.06.2016 Herr Bunt

  

Guten Tag. Ich bin Herr Bunt. Ich wohne in einer lebhaften WG mit drei Frauen und ein bis zwei Kerlen. Eine bunte Mischung aus Felligen, Hautigen und Häkeligen. Eigentlich gäbe es keinen Grund für Langeweile, sollte man denken, aber ich lieg hier die meiste Zeit nur rum. Meistens in Schubladen. Zwar hab ichs nicht so mit der Eile. Hunger hab ich auch selten. Zauberwatte bläht meinen Bauch schon seit Monaten auf, ohne auch nur ein bisschen verdaut zu werden. Aber manchmal beneide ich Minka. Einen Grund zu haben zu fressen, sich zu putzen, aufs Katzenklo zu gehen oder dringende Geschäfte mit den Amseln zu tätigen... Was würde ich doch nur geben für ein bisschen Zwang. Ich muss NICHTS. Es ist ööööde. In einem gleichen ich und Minka sich: lässt man eine Katze einmal raus, weiß sie wie es ist und will nicht mehr eingesperrt bleiben. Hätte man mich nicht einfach NICHT in diesen Raum namens Edinborough mitnehmen können?? Ich hätte nie was vermisst. Die dunkle Schublade und manchmal ein Mensch, der mich quetscht, das hätte mir gereicht als Lebenssinn. Zu spät. Ich will raus. Ich hab mich vorgestern Nacht in Olivers Rucksackschublade geschmuggelt. Haha. Ich hab letztens aus meiner Schublade im Schlafzimmer genau zugehört, wie Oliver und Frances wieder irgendwelche Fernsehmenschen in einer Fernseh-Nerd-WG beobachten und dabei den Fernseher lachen lassen, damit sie den Mund frei haben, um sich über spannendere Sachen zu unterhalten: Diese Rucksackschubladen gehen nicht nur auf und zu, sondern auch weg! Manche gehen in Räume wie Squashhalle oder Freibad. Die Schwarze geht in einen Raum Namens Kreta. Und da bin ich jetzt und kann nur staunen. Edinborough war ja schon ein nasser, kälter, dunkler und vor allem riesiger Raum mit gewaltig vielen Schränken darin, in denen sich wieder Räume und Schränke hineinverschachtelten. Das geht! Hab ich gesehen! Aber dieser Raum hier ist waberig blau, hell, heiß und hat gar kein Ende mehr. Oliver war den ganzen Tag unterwegs, wohl um das Ende des Raums zu finden. 25km und 6 Stunden später war nichts dergleichen erkennbar und so langsam bekam ich Angst. Also hab ich mich aus meiner Deckung gewagt und Oliver gefragt, was das alles hier soll. Nach einem gnadenlosen Schreck darüber, dass ich auch hier bin... Hehe... sagt er, dass er hier hingegangen ist, um Räume ohne Wände und Schränke zu erkunden. Räume ohne Wände??? Argh, wollte ich das wirklich wissen? Muss wieder an die Katze denken. Zu spät... Soll der erstmal gehen. Kann grad nicht reden mit ihm. Das hat mich doch stark geplättet. In diesem Endlosraum sind manchmal sinn- und wahllos kleine weiße Schränke gestapelt. Beschließe diese Stapelagen erst einmal Haufen zu nennen. Edinborough war dagegen so schön geordnet, geputzt und den ganzen Tag über mit Hilfe einer Dauersprenkleranlage gewischt worden. Hier muss erstmal dringend gesaugt werden und die vielen Pfandflaschen müssen weg, vorher macht hier Wischen keinen Sinn... Das sagt Frances zumindest immer zu Oliver. Der geht gerade ins wabernde Blau und versinkt darin. Urgh wie ekelig. Das ist heute alles zu gruselig für einen Tag. Ich sitz in einem Raum ohne Decke, den Oliver Balkon genannt hat und bin hundemüde und verwirrt. Das muss ich mir gleich alles erklären lassen. Wie kann hier alles nur so falsch und sinnlos sein?