GR131 2019 Fuerteventura

11.11.2019 Trans Greta

  

Den ganzen Weg über, also tatsächlich die ganzen letzten 10 Tage, laufe ich mit einem permanenten, nervigen Hintergrund-Rauschen im Hirn, das stetig mein Wohlgefühl in Frage stellen will. Das ist schon nervig oder? Diese blöde Klimadebatte aber auch. Wieviel CO2 produziert mein Flug hierhin? So viel wie ich sonst in zwei Monaten produziere? 1,1 Tonnen sagt der CO2-Rechner. Na ich werde wohl auf 11 Tonnen im Jahr kommen, alles in allem. Selbst wenn ein Mensch wie die Kirchenmaus lebt, produziert er 8 Tonnen, heißt es, denn man kann sich nicht einfach aus der Gesellschaft herausschneiden, die einen mitträgt. Nutze ich bspw. das Internet, akzeptiere ich einen riesigen Klimakiller, an dem ich somit auch meinen Anteil trage. Es heißt nicht von ungefähr, dass eine einfache Googleanfrage 100 Euro kosten würde, wenn sie nicht werbefinanziert wäre. Also dann, man kann sich eh nicht retten. Weiter reisen, ne? Das macht die Welt eh nicht besser, wenn ich jetzt verzichte. Oder?
Nee, mein Gefühl will nicht weichen. Okay okay, ich verzichte auf Plastiktüten. Und dann? Auch nicht? Ach mann, musste dieses ausdruckslose, schwedische Mädchen denn letztes Jahr unbedingt dieses blöde Schild malen? Ich kann ja keine Einweg-PET-Flasche mehr kaufen, ohne gleich Greta vor Augen zu haben. Lästig. Was bildet sich dieses 16jährige, schulschwänzende Rotzgör eigentlich ein, mich als Schuldigen hinzustellen, der alles falsch macht? Hat von nix nen Plan und meint uns Leistungsträgern erzählen zu können, wo der Hammer hängt? Pass nur auf, ich nehm dir dein Handy weg, dann weißte, was du davon hast! Jawohl, das musste auch einer für dich erarbeiten! Leistest dir hingegen schicke Jachtenüberfahren ins Amiland, um da dann monatelang Urlaub zu machen bis zur Klimakonferrenz und dann ääätschebääätsch, musst du doch wieder zurück, weil sich Chile gerade wegen politischer Instabilitäten die Konferrenz nicht leisten kann? Ging ganz schön nach hinten los deine Klima-PR-Segeltour, die so viel CO2 verursacht hat wie 6 Standardflüge! Und die ganze Kohle, die deine Eltern dabei mit dir verdienen... schon schlau, wie du dir das mit deinem 15jährigen Aspergerhirn so ersonnen hast, während du gelangweilt die Schulbank gedrückt und überlegt hast: Mann, was muss ich tun, wenn ich a) jeden Freitag frei haben will und b) jedem Spitzenpolitiker der westlichen Welt einmal die Hand schütteln will und das möglichst binnen eines Jahres?

Es gibt bestimmt noch mehr Gehirnfürze zum Thema, aber diese Essenz hört und liest man wohl am meisten. Greta hat dabei ein Ziel auf jeden Fall erreicht: alle reden drüber. Viele versuchen ihr selbstverständliches Wertebild damit in Einklang zu bringen und gedanklich irgendwie zu verorten, dass wir Westländer einen Riesenanteil daran tragen. Die Argumentationslogik, dass es an einem selbst nicht liegen kann, erinnert mich oft an die Heizverbrauchsdiskussion in Mietshäusern, in denen alle Mieter nach Quadratmetern und nicht nach Verbrauch zahlen: "Warum soll ich sparsam sein? Dann zahle ich für meinen Nachbarn ja mit!"
Lustig machen darüber geht am einfachsten. Findet man am leichtesten Freunde. "Greta is watching you.", also pass uff, wenn du bei Burger King nen Plastikhalm nimmst, ne?
Mich stimmt die ausgelöste Diskussion hoffnungsvoll und ich bin mir sicher dabei nicht allein zu sein. Die Welt wird zusehens wieder autokratischer, obwohl wir doch "erwachsen" geworden sind. Hm. Uralt und dement wohl eher. Dabei läuft doch auf ZDFinfo eine Dritte-Reichs-Doku nach der anderen. Man bekommt doch spannend und in Farbe präsentiert, wie es funktioniert. Und dann kommt ein Mädchen mit einer peinlich simplen Aussage wie "How dare you! People are dying!" und man hat nichts besseres dazu zu sagen als "Halts Maul du Schulschwänzerin!", weil sie eben dieses selbstverständliche Wertebild in Frage stellt, das uns gewohnt und gerecht erscheint, seit vielen Jahrzehnten oder noch länger. Ich kann das sogar nachempfinden. Aber ich denke, wenn man sich darauf einlässt, wird in der hiesigen Debatte klarer denn je, dass die Rechnung nie vollständig war: "Ich habe ein Recht es zu tun, denn ich habe dafür bezahlt. Damit sind wir quitt." funktioniert nicht. Hat es nie! Auch wenn oder gerade weil Kaufleute seit Jahrhunderten T-Konten lernen. Schulen vermitteln, dass diese Denkweise die Richtige für unsere Gesellschaft ist. Auch im Globalen Dorf? Nun kommt die Variable Klima deutlicher als jemals zuvor hinzu und das ist gut so. Ob der Auslöser nun Greta oder Bill Gates heißt, ist irrelevant. Wichtig ist, dass es weiter geht und ein besserer, richtigerer Weg ist, als Klimaziele zu reißen, bis sie niemand mehr ernst nehmen kann.
Und ich jetzt hier neben Afrika auf Inseln am wandern und so? Soll ich das jetzt nurmehr in Altenbeken machen, um meinen Beitag zu leisten? Reicht das? Auch wenn das jetzt wie eine billige Ausrede klingt, aber damit werde ich allenfalls zum besorgten Klimasünder, der was Nettes fürs Umweltgewissen täte, wenn es nur dabei bliebe. Greenwashing. Es ist nicht der Verzicht auf das ein oder andere. Es ist eine gänzliche, gesellschaftliche Umorientierung, ein neues, selbstverständliches Wertebild, das wir adaptieren lernen müssen wie dass man den Wasserhahn nach Gebrauch auch wieder zudreht und wir dieses Verständnis quasi instinktiv in die Gesellschaft tragen. Aber die Lösungswege sind vielleicht auch an sehr unbequemen Stellen. Z.B. neue Atomkraftwerke mit neuesten Standards für die nächsten 125 Jahre, die abgereichterte Brennstoffe verheizen können, von denen wir bereits genügend auf der Welt in Halden und Stollen herumliegen haben. Aber eben auch sicher der Verzicht auf Unnötiges. Und da tue ich mich verdammt schwer mit Blick auf mein Wandern auf den Kanaren. Puuuh, das ist wie abnehmen. Ich merke, wie ich instinktiv versuche die Sache grün zu argumentieren. Das wird mir aber nicht gelingen. "Ich esse nur Ökoeier", sagte er, bevor er nach Australien flog. Ich will nicht zum besorgten Umweltsünder werden. Ich will verstehen, wie es effektiv weiter gehen kann. Ein Freund von mir sagt, die ganze Klimadiskussion ist genau so ein Bullshit wie das Gegenteil. Was wissen wir denn schon vom Klima?! Der Hype um Greta wird vielleicht schon bald auslaufen. Sie wird wieder Schülerin oder vielleicht eine Klimaaktivistin von vielen, die dann erwachsen wird, Politik und Eloquenz lernt und schließlich wie alle Kompromisse sucht. Was bleibt ist der davon losgelöste Impuls, der mächtiger über die Welt kam, als man sich je hätte vorstellen können. Ich bewundere das Mädchen mit ihren Ansichten. Ich bin mir sicher, sie konnte die Wirkung auf die Welt nie ahnen. Ich bewundere, dass so eine Welle auf diese Weise losgetreten werden konnte. Das ist mächtiger als jeder Trump. Ich möchte mich darüber niemals ernsthaft lustig machen müssen. Ich möchte diese Bewunderung teilen. Das geht auch zwischen ostwestfälisch verschränkten Armen. Es kommt darauf an, wie man sich begegnet.
Ich denke, gerade dass sie ein Kind ist und dass sie das Aspergersyndrom hat, hat den entscheidenden Weg geebnet. Ein normales Kind wäre den Folgen möglicherweise kognitiv kaum gewachsen. Und so setze ich mich mit vielen Fragen und ohne wirkliche Lösung für mein persönliches Dilemma in den Flieger, fliege zurück in meine heimische Steinburg und merke, wie aus dem Hintergrundrauschen langsam und schleichend Migräne wird.