Circular de Lanzarote

03.09.2021 Finca de Arrieta

  

Gut gelaunt wache ich auf. Der Weg heute wird 7 Kilometer kurz. Bewusst... lesson learned aus den vorherigen Wegen: nimm dir auch Zeit zum schlendern und ausgiebigen Baden, sobald es richtig schön wird. Nach zwei traditonsgemäßen Folgen "Lady Bug" im spanischen Disney Channel stehe ich dann auch mal auf. Diane hat wie versprochen Frühstück gemacht: selbst gebackenen Kuchen, selbst gemachte Marmelade und Milch. Alles meins! Dazu noch ein paar Tips für La Graciosa. "The ultimate secret hidaway that's always crowded." she points out. Und ich breche auf.
Der erste Teil des Wegs führt erstmal wieder zurück zur Küste und in das Örtchen Charco del Palo. Ein viereckiger Zuckerwürfelbaukasten. Aber irgendwas ist anders. Es ist extrem gepflegt und sauber hier. Das ist definitiv kein klassischer Touristenort, das muss was Individuelleres sein. Keine einzige Anlage ist hier. Es ist still, nur das plätschernde Meer und der raschelnde Wind in den Vorgartenpalmen. Ich durchquere die Häuserzeilen. Kreativ hergemachte, kleine Finkas säumen die Stäßchen. Das Ganze gleicht eher einem Vorstadtviertel eines Speckgürtels am Starnberger See. Dann fallen mir die Namensschilder an den Haustüren auf. Alle deutsch. Bars und Restaurants bieten Diebels und Warsteiner an. Einige Finkas liegen direkt an der Küste. Ein älteres Pärchen kommt nackt aus einem der Häuschen hervor und klettert dirket ins Wasser. Kaum einer ist in Küstennähe bekleidet.
Hmmm... Sauberkeit, deutsch, nackt... das muss wohl eine Art Edel-Rentner-Aussteigerdörfchen sein, schön abseits der Hauptrouten. Irgendwie gefällt mir das sogar ein bisschen, solange die Gemüter ebenso gelassen bleiben wie die Gärtchen schön hergerichtet sind.
Ich passe mich an, ziehe auch blank und schlender weiter entlang der Küste in die Wüstenlandschaft und Richtung Norden. Das Farbspiel nach Verlassen der Siedlung lässt sich am ehesten als russischer Zupfkuchen beschreiben. Hinter einer schwarzen Lavakrustenküste hat sich quietschgelber Sand zu Dünen aufgetürmt, der so gar nicht zum Inselcoleur passen will. Hmmm... ob das wohl Sandablagerungen der Saharawinde sind? Es macht jedenfalls das Barfußlaufen deutlich angenehmer. Nur zum Wasser gelangt man nicht ohne immense Verletzungsgefahr. Sanddünen toll! Sandstrand sucht man vergebens, nur pechschwarzes, scharfes Lavagestein. Auch ein Indiz dafür, dass der Sand vom Festland hierher emmigriert ist. Viele Löcher haben sich entlang der Küste gebildet, die wie gewaltige, erkältete Nasen schnauben und Gischt niesen. Ich wage mich an eine der Nasen heran. Das will ich filmen! Es dauert drei Minuten, bis ich in Form eines mit einem Gischtregenbogen überspannten, überdimensionalen Hatschis mit Wasser vollgespritzt werde und fast umfliege. Das hat ne Kraft!
Weiter nördlich eröffnet sich schließlich eine riesige Meeresbucht und der gelbe Sand weicht abrupt dem üblichen, staubigen Farbgemenge Lanzarotes. Zwei Ortschaften strahlen weiß und zweistöckig am gegenüberliegenden Ende der Bucht. Mein Ziel für heute ist jedoch ein vorgelagerter, langer, menschenleerer Kieselstrand. Nur drei vereinzelte Wohnmobile stehen individualistisch herum. Hier oben im Norden ist das Wasser deutlich rauher geworden, aber es ist durch den fehlenden Sand glasklar wie das Mittelmeer. Und ungewöhnlich warm ist es auch, schätzungsweise 25 Grad. Ab in die Fluten! Zwei Stunden lang. Mein Domizil für heute nacht, die Finca de Arrieta, liegt direkt hinter dem Strand. Erstmal den Eingang finden dort... Irgendwann ist er gefunden und ich betrete eher eine Art Freizeitpark. Es wirkt, als wolle jemand ein Miniatur-Phantasialand auf Öko errichten. Schilder säumen den Park mit Tonnen von Hinweisen, als müssten hier hunderte Besucher ordnungsgemäß durchgeschleust werden. Nur bin ich alleine hier. Dieselfahrzeuge haben direkt am Ausgang zu bleiben wie Hunde vor den Läden. Danach sind nur noch E-Fahrzeuge erlaubt, die mit maximal 10km/h weiter zum Hybrid-Parkplatz fahren dürfen. Aber bitte rückwärts einparken, zur Sicherheit der Kinder! Und keinen Müll in die Gegend werfen. So wird man um das halbe, fußballfeldgroße Areal herum geführt, bis weitere Wegweiser ins Innere führen, wo viele Jurten stehen und ein Türmchen. Ein akribisch gepflegter Kaktengarten umsäumt die Gebäude. Auf kleinen Schildchen wird jede Gattung beschrieben. Wieder ist es so still wie in dem Örtchen eben. Verwirrt frage ich einen umherhuschenden Gärtner wo die Rezeption ist und werde an einer offenen Küche entlang zu einem mit Hinweisschildern übersäten Häuschen geführt. Eine blonde Britin grinzt mich durch ein Fenster an. Ich hätte es mir denken können. Permanente Fremdbestimmung durch Tafeln, Schilder und jegliche andere Form der diskreten Warnung und Zurechtweisung, als wäre Mündigkeit eine stets zu reglementierende Unberechenbarkeit des Menschen, das ist irgendwie irisch/britischer Stil.
Im krassen Gegensatz dazu steht die Freundlichkeit der Besitzerin und das in die Besucher gesteckte Vertrauen, die überall vefügbaren Dinge und Lebensmittel, die man aus dem Honesty Fridge und dem Honesty Shop einfach entnehmen kann, doch bitte freiwillig auf einem Strichzettel aufzuzählen und am Ende abrechnen zu lassen. Alles hat hier Namen. Alle fangen mit Eco an. Eco Kitchen, Eco Tower, Eco Yurt. Ich bekomme die Eco Yurt Chico, die wie alle Jurten hier in einer kleinen Art Schräbergärtchen stehen. Daneben ein Badezimmer, aus dem eine Palme herauswächst, sowie eine Küche, die eher eine möblierte, überdachte Terasse ist. Was daran öko ist, erschließt sich mir nicht ganz, aber es ist in jedem Falle höchst individuell, das alles hier. Eigenartiges Konzept, das wie ein wahr gewordener Sim-Park-Kindertraum wirkt. Ich liebe es 🌈! So sitze ich jetzt in einem über 30 Grad warmen Pool mit Warnschild, man möge bitte beim Aussteigen den Schotterweg nutzen, weil der weiße Beckenrand rutschig ist und schreibe meine heutige Etappe auf. Die Honesty-Fridge versorgt mich mit phantaistisch schmeckenden Aloe-Vera-Drinks mit Stückchen drin aber ohne Kalorien. Ich habe einen Gasofen in der Open-Air-Küche stehen und backe mir heute Abend eine leckere Öko-Fertigpizza aus dem Honesty Shop, bevor ich meine Jurte entweihe, die direkt aus den Kammern Lord Baelishs in Königsmund entsprungen sein könnte...